29.5.05

Vodaphone Live!

Foto zum Thema


Wieder einmal auf dem Weg nach Ulm, wieder einmal mit soviel Verspätung, daß Leute, die ihren Anschlußzug noch erwischen müßten, sich auf eine lange Wartezeit auf dem alten Bahnhof Ulm einrichten dürfen, auf dem es übrigens ab einer gewissen Uhrzeit nur noch Junkfood zu kaufen gibt.
Wieder ein langweiliger Sonntag Abend.
Solche Abende werden in zivilisierter Gesellschaft, bei einem guten Bier, Fußball und TV in gemütlicher Runde verbracht - aber nicht für den gelangweilten Pendler.

Der sitzt mit seinen Kollegen, insgeheim Trübsal über die vergeudete Stimmung blasend bei Bier und klimatisierter Luft im Zug - und versucht, einen Hauch von Individualität in das sterile Klima zu bringen, das von der abweisenden Schweigsamkeit der spießigen Pendler ausgeht.
Eine Welle von Coolness gerät in die drückend warme Sommerluft, als die Kollegen mit italienischen Designersonnenbrillen ihr Bier zur Seite stellen und ihr ebenso durchdesigntes Klapphandy aus der Hosentasche ziehen.

Die nächsten zehn Minuten gelangweilter Stille in dem Großraumabteil werden nur aufgeschreckt durch das Dröhnen zweier gequält übersteuernden Lautsprecherchen, auf deren silbernen Gehäusen - weithin sichtbar - das Vodaphone-Logo prangt.
Was auf den sündhaft teueren 0-Euro-Handies läuft und dem Kollegen unbedingt vorgeführt werden muß? Nur das Alleraktuellste: Der bekloppte Frosch aus der Fernsehwerbung - in Vollfarbe und *sigh* -ton. Für das endgeile Superschnäppchen von 2,99 zu haben - leider nur in Verbindung mit einem Monatsabo. Aber man kann eben nicht alles haben.

Jedenfalls, und das ist sicher, regt so ein Handy die Kommunikationsbereitschaft in der gemütlich-feindseligen Schweigsamkeit der Zuggemeinschaft schnell an. Schon nach den ersten deutschnationalen Hymnen, die aus den beiden Handies schallen, stimmt freudig eine andere Gruppe - nur wenige Sitze entfernt - mit ein. Natürlich auch mit Klapper- äh, Klapphandies, diesmal des Fabrikats Nokia.
Die Stimmung wird merklich freundlicher und ausgelassener, und so folgen Themen, die man sich in der "normalen" Öffentlichkeit nicht ohne Weiteres angesprochen hätte.
Aber die Tatsache, daß jeder Mitreisende ein Handy mit sich führt, schweißt die zufällig zusammengekommene Gruppe mehr oder weniger zusammen, und so beginnt ein entspanntes Geplauder über Beziehungsprobleme, Sex, Drogen und den laschen Parties, die natürlich gerade heute abend stattfinden müssen - wenn man terminlich leicht verhindert ist. Aber, wie gesagt, man verpasst ja nichts durch die leichte Verspätung.

Plötzlich mischt sich ein Mißklang in die beschwingte Runde, es wird ein Foto geschossen. Die Stimmung kippt sofort, die Blicke des gesamten oberen Abteils wenden sich scheinbar gegen den Störenfried. Wer wagt es, solch intimen Details auf Megapixel festzuhalten - und möglicherweise noch an die Öffentlichkeit zu tragen? Natürlich ist man liberal und auch sehr tolerant Außenseitern gegenüber - der Fotograf könnte ja ein manisch Kranker sein, mit dem unheilbaren Zwang besessen, jede erdenkliche Situation zu fotografieren. Oder er könnte das Kurzzeitgedächtnis durch einen Unfall verloren haben, und sich sonst die einzige Möglichkeit verbauen, sich an interessante Momente erinnern zu können. Egal, welcher tragische Fall in diesem Fall vorliegt, der Betreffende wird halb-herzlich in die Gruppe aufgenommen, zumindest verbal.

Aber die Atmosphäre ist getrübt. Die selbe ausgelassene, herzliche Stimmung will nicht mehr so recht aufkommen, denn jetzt weiß jeder: es ist ein Störenfried in unseren Reihen, ein Fremdkörper.

Und in der Gewißheit, daß jedes Detail, jedes Wort jetzt buchstäblich gegen den Angeklagten verwendet werden könnte, werden die ausgelassenen Erzählungen von der nächsten Party immer gezwungener, die Handies eingeklappt und die freudigen Blickkontakte zwischen den Mitreisenden seltener.
Eine betroffene Schweigsamkeit kehrt ein. Langsam, jeder bemerkt es, löst sich die Gemeinschaft wieder auf. So eins war jeder mit seinen Abteilnachbarn, daß es fast körperlich schmerzt, daß die perfekt harmonierende Gruppe jetzt wieder zerfallen soll. Mit letzten lauten Lachern wird die eigene Unsicherheit überspielt.

Als schließlich der Zielbahnhof leise ratternd in Reichweite kommt, grübelt man über das Geschehene nach. Und kommt zu dem Schluß, daß man so etwas bei der nächsten Fahrt unbedingt einmal wieder versuchen sollte.

Alle in der Story vorkommenden Personen sind rein fiktiv, das Foto stellt lediglich ein darstellendes Beispiel ohne inhaltlichen Zusammenhang dar. Falls sich die Eigentümer an dem Foto trotzdem in ihrer persönlichen Würde beeinträchtigt fühlen, werde ich es nach einer kurzen Mail selbstverständlich sofort entfernen.

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