3.12.05

Fortfahrt




Jedoch - die erfahrungsreiche Fahrt sollte noch nicht zu Ende sein.
Ich war von der zufälligen, aber so überraschend positiven Bekanntschaft noch so euphorisch, daß ich gleich weitermachen musste. Der Mann, der mir gegenüber saß, spürte das anscheinend langsam, denn nach einigen Minuten raunte er mir zu, daß noch gar keine Fahrkartenkontrolle gekommen wäre. Ich stimmte ihm zu, und, dadurch ermutigt, ergänzte er schon fast redselig, daß er sich erst noch eine Fahrkarte besorgen müsse.
Aha, ein Schwarzfahrer. Wenigstens in der Bahnterminologie. Ich fühlte mich durch mein vorheriges Erlebnis spontan mit dem Mann verbunden und gab ihm den rettenden Tip - er solle behaupten, in Otting-Weilheim sei der Fahrkartenautomat defekt gewesen.
Die Jungs von der Bahn haben von Telekommunikation anscheinend noch nicht mal gehört, und somit ist es völlig egal, ob man da jetzt bei der Störungsstelle angerufen hat oder nicht (das gleiche Ergebnis scheint mir auch auf die tatsächlichen Serviceleistungen zuzutreffen - der Kartenautomat in Roth hatte eine Woche später immer noch keine Serververbindung...), was mir allerdings nur recht sein kann.
Immerhin besteht bei der Bahn ein nur sehr geringes Risiko, daß sensible persönliche Daten im Rasterfahndungsstil aufgenommen und archiviert werden - zu umständlich wäre der Behördenweg. Da macht man mit einem Telefonat per Handy schon mehr an Datenschutz kaputt als mit einem halben Jahr Zugfahrt...
Jedenfalls, es kam, wie es in solchen Situationen immer kommt - der Schaffner tappte durch die engen Gänge und verlangte freundlich nach den Fahrkarten. Übrigens das erste Mal seit vier oder fünf Zugfahrten, auf dem Weg von Donauwörth nach Ulm hat man meistens seine Ruhe. Und mein Gegenüber zeigte sich erstaunlich eloquent und tischte dem armen [Beamten] Kontrolleur eine ausgefeilte Geschichte auf.
Spassig wurde es zu dem Zeitpunkt, als der blau Uniformierte seinen Monster-PDA zückte und ordnungsgemäß anfing, die Reisedaten des Mannes einzutippen, um ordnungsgemäß ein Ticket rauszulassen. Der Monster-PDA piepste ordnungsgemäß und zeigte dienstbeflissen die Meldung an, daß ein Ort namens Otting-Weilheim nicht existiere.
Und da für eine Zugreise, angefangen in einem Abfahrtsort, der nicht existiert, nur schwerlich die anfallenden Kosten berechnet, geschweige denn ein ordnungsgemäßes Ticket werden kann, gab es der arme Schaffner nach dreimaligem Versuchen schließlich auf.
Offensichtlich gab es in dem Gerät auch keine Methode, ordnungsgemäß ein Blankoticket, also eine sich über eine festgelegte Strecke erstreckende Fahrt, sozusagen von Nirvana nach Ultimo, zu buchen.
(Der letzte Satz war übrigens tatsächlich ordnungsgemäß. Wenn Sie das beim ersten Mal, genau wie ich, nicht glauben, lesen Sie ihn einfach nochmal.)
Der Versuch meiner Zufallsbekanntschaft, den Kontrolleur mit einem 10-Euro-Schein abzuspeisen, wurde komplett ignoriert - er passte nicht in das ordnungsgemäße Weltbild des armen Kerls. OK, es roch ein wenig nach Bestechung, aber ich hätte das Geld genommen und wäre weitergegangen...

Ja, und um die ganze Misere wenigstens zu einem annähernd ordnungsgemäßen Ende zu bringen, tat der Bahnschaffner, was er mit allen unpassenden Dingen, die plötzlich in seinem ordnungsgemäßen Weltbild auftauchen - er ignorierte sie. Das heißt im Klartext, nach dreimaligen Mißlingen, einen bayrischen Ort in der BaWü-Datenbank zu finden, und einen mißglückten Bestechungsversuch später, zuckte der Kartenknipser mit den Schultern und spazierte weiter. Muß ich irgendwann auch mal probieren.... (Was, sie haben keine Abfahrtshaltestelle namens Freystadt in der Datenbank? Welch Wunder! Ich kann ihnen jeden Eid schwören, daß ich da losgefahren bin...)

Ähm, und um die Sache zu einem runden Ende zu bringen - ein inhaltlicher Kreis schließt sich damit leider nicht, weil ich im letzten Teil vergessen hatte, die erste Hälfte der Pointe zu erwähnen - ich bin dem kostenlosen Reisenden diese Woche wieder begegnet.
Und der geneigte Leser möge sich jetzt fragen, ob er jetzt aus der Situation gelernt und schon aus Gründen der Wirtschaftlichkeit keine Karte gekauf hat - ich habe es jedenfalls nicht getan.
Aber, damit der letzte Absatz wenigstens einen Sinn hat, somit nicht wegen Minderwertigkeitskomplexen in meinen psychatrischen Ordner zur Behandlung muß - und damit ich nebenbei auch noch mein Versprechen der letzten Folge einlösen kann: ich landete einen Schnappschuss, und dieses Foto kommt wegen den eben genannten Gründen ausnahmsweise mal an den Schluß.

Die Hauptrolle spielte - auf dem Foto von vorne nach hinten gezählt - die Person Nummer 2.


Old man

3 Kommentare:

Bubu hat gesagt…

Jetzt bin ich aber enttäuscht...ich dachte, du präsentierst uns ein Foto von der hübschen Sitznachbarin! :-)

Thomas

goocy hat gesagt…

Man muß ja schließlich die Spannung hochhalten ;)
Nein, im Ernst, sie wollte nicht.
Ich hab verstanden, daß sie sich nach 10 Stunden Zugfahrt nicht mehr fotografierwürdig fühlt, und sie sah auch schon reichlich fertig aus.
Dafür beim nächsten Mal, wenn ich sie treffe - und so oft, wie ich im Zug sitze, kann das nicht mehr lang dauern...

Anonym hat gesagt…

na ja, immerhin hatte Freystadt ja mal einen Bahnhof und bei der Schlamperei der Deutschen Bahn könnte ich mir sogar vorstellen das die den noch eingespeichert haben *lach*