3.2.06

Suboptimal



Rost


Das Meiste, was so in meiner Umgebung vorkommt, ist suboptimal.
Mir fallen solche Sachen sehr schnell auf, weil ich eigentlich seit meiner Kindheit perfekte Lösungen gewohnt bin - hauptsächlich in den Bereichen, die mir verwehrt bleiben sollten.

So war beispielsweise der Laufstall perfekt ausbruchssicher, die Wohnung perfekt kindersicher (zumindest für den Geist eines Zweijährigen) und das Schulsystem perfekt linear. Auch mein Computer war perfekt gesichert, bis ich meine Hausaufgaben gemacht hatte.
Nur fallen einem im Lauf der Zeit immer mehr Stellen in der Welt auf, an denen es leicht bröselt. Hier mal ein Gerät, das nicht so richtig an seine Funktion angepasst ist, da ein Text, der noch treffender formuliert werden könnte.
Und bei jeder Situation muß ich mir denken, das geht doch besser. Und diese bessere Lösung würde sogar noch viel mehr Sinn machen, warum erkennt das niemand und macht sich ans Werk?

Ein schönes, kleines Beispiel ist der Adventskalender, den ich als Kind jedes Jahr zu Weihnachten bekommen habe.
Man freut sich da gleich beim Aufstehen drauf, juhu, Schokolade schon vor dem Frühstück. Und ich hatte meistens diese bunt-kitschigen Weihnachtsszenen als Titelbild, wenigstens wenn es ein Schokokalender war.
Und dann, dieses vorgerasterte Layout in der klassischen, gleichmäßigen Aufteilung 4x6 Türchen im Bild eingestanzt - mit viel zu vielen zufällig zusammengewürfelten Zahlen drauf.
Abgesehen davon, schaut man ja als Kind ziemlich intensiv auf diese vorgedruckten Bildchen. Und was da genau auf dem Türchen aufgemalt ist, das man ja gleich öffnen wird.
Auf dem Türchen ist beispielsweise eine Hand eines Engels zu sehen, der ein kleines, bunt verpacktes Päckchen unter den Weihnachtsbaum stellt. Und als Kind erwartet man irgendwie, daß der "Inhalt" des Türchens in irgendeinem Zusammenhang mit dem aufgedruckten Bild steht. Aber, große Enttäuschung, dahinter befindet sich ein Schokoabguß von einem Fliegenpilz. Was soll das?
Oder, man öffnet das Türchen, auf dem eine Wolke abgebildet ist. Wo man jetzt vielleicht dahinter den Weihnachtsmann mit Schlitten vermuten würde, kommt lediglich ein langweiliger Lebkuchen zum Vorschein. Ein Lebkuchen, mitten zwischen den Wolken? Blödsinn.

In der Zwischenzeit weiß ich, warum mein Adventskalender so und nicht anders ausgesehen hat - die Hersteller machen sich keine Gedanken über eine Beziehung zwischen Frontbild und Schokofüllung. In Wirklichkeit werden die beiden Teile sogar in komplett verschiedenen Produktionsstätten gefertigt und erst am Schluß zusammengeklebt. Daß da nicht viel Zusammenhang zwischen den weihnachtlichen Symbolen bestehen kann, ist dann wohl klar. Aber dennoch enttäuschend.

Auch ein treffendes Beispiel ist mir im Bus aufgefallen. Eine Haltestange war locker, weil eine Schraube fehlte. Es war abzusehen, daß die andere Schraube demnächst brechen würde, wegen der ständigen Überbeanspruchung. Problem erkannt.
Aber, wer soll das Problem lösen? Ich selbst habe keine Schraube.
Und der Busfahrer, der näheste Ansprechpartner, fühlt sich nicht zuständig. Es ist zwar "sein Bus", aber nur die nächsten zwei Stunden, dann steigt er in eine andere Linie. Abgesehen davon hätte er weder das Werkzeug dafür, noch würde ihm sein Terminplan eine derart nebensächliche Reparatur erlauben.
Gibt es denn niemanden, der für so etwas zuständig ist, frage ich. (Allein die Suche nach so jemanden ist schon suboptimal)
Naja, eigentlich wäre die Reparaturwerkstatt dafür passend ausgerüstet. Aber die verlangen für jede Reparatur eine Mindestpauschale, die sich für eine einzelne Schraube nicht lohnt, und außerdem würde der Bus im Gerätepool fehlen, was wiederum Betriebsausfälle verursacht. Also wäre im Endeffekt das Eindrehen dieser einzelnen Schraube etwa im Kostenbereich von drei Betriebstagen, was absolut nicht im Effizienzverhältnis steht.

Fassen wir zusammen:
Das Ersetzen einer fehlenden Schraube wird nicht bewerkstelligt, weil die Reparatur zu teuer ist. Daher werden Bagatellschäden, die auf Dauer die Qualität im Bus stark beeinträchtigen, in Kauf genommen.
Weil es billiger ist, verzichtet man darauf, dem Busfahrer einen kleinen Werkzeugkasten und zehn Minuten Inspektionszeit am Tag mitzugeben, und betreibt statt dessen ein komplettes Outsourcing der Reparaturen.

Anderes Beispiel:
Liebe Leute der deutschen Bahn. Laßt den Schaffner nicht auch noch Fahrkarten kontrollieren, nur um den zweiten Angestellten im Zug zu sparen. Einerseits muß der arme Kerl an jeder Station wieder zur Tür wetzen, und vergißt währenddessen die Leute, die er schon kontrolliert hat. Und andererseits, und das gehört wieder zum Qualitätsgefühl, hat der Mensch überhaupt keine Zeit mehr für Durchsagen.
Und ja, es gehört zur Fahrqualität, wenn man ein paar einfühlsame Informationen vom Schaffner mitbekommt.
Wenn die Durchsage kommt, daß unser Zug zwei Minuten Verspätung hat, obwohl sich der Zugführer diesmal extra genau an den Fahrplan gehalten hat, um die Leute pünktlich nach Hause zu bringen. Und man aber am letzten Bahnhof warten hat müssen, bis der verspätete ICE überholt hat. Sowas gibt einem das Gefühl, eben nicht in einer fortlaufenden Maschinerie unterzugehen. Man merkt, hier sind wirklich Leute mit Liebe an der Arbeit. Aber solche kleinen Aufmerksamkeiten fehlen in letzter Zeit immer mehr.

Schuld an dem Ganzen tragen die Leiter der Firma, des großen Konzerns. Solche Leute, die nicht mehr auf Details achten, sondern nur noch das "große Ganze" im Sinn haben. Solche Leute verlieren naturgemäß den Sinn für Perfektion, den beispielsweise der Busfahrer noch sehr gut anwenden könnte.
Aber - und wir kommen auf das Grundübel - 10 Minuten Inspektionszeit für den Busfahrer sind im Geschäftsjahr insgesamt ein ganzer Tag Betriebsausfall, und das wiederum bedeutet bares - augenscheinlich verlorenes - Geld.
Und genau diese Kosten-/Nutzen-Rechnung ist schuld, wenn irgendwo Bagatellmängel herumliegen, für die sich niemand zuständig fühlt. Tatsache ist, eine solche Firma hat sich genau diese Person gespart, die sich um die Details kümmert, die mit etwas Liebe an der Arbeit ist.
Diese Person, die mir im Burger King den Salat eben nicht genau unter das Fleisch legt, weil sie selbst weiß, daß der Burger gerade durch den kalten Salat richtig knackig wird. Solche Personen vermisse ich. Solche Personen machen ein Produkt, sei es der Burger oder der Nahverkehr, erst sympathisch.

Leider geht es den Köpfen in der Führungsriege nicht um Sympathie. Solche Leute leben in einer reinen Zahlenwelt.
Aber warum schlägt diese und jene Marketingkampagne nicht an?
Weil es den Leuten nicht nur auf schöne bunte Bildchen ankommt.
Genau wie es dem Kind vor dem Adventskalender nicht nur auf das bunte Titelbild, sondern auch auf die Details ankommt. Die Leute haben einen viel intensiveren Blick für die kleinen Details, die ein Produkt erst sympathisch machen. Und hier ist der Ansatzpunkt für viele große Konzerne.

Liebe Leute aus der Führungsetage. Stellt euch jemanden ein, der einen Blick für kleine Mißstände hat und mit Liebe bei der Arbeit ist. Und zwar kein gemieteter Agent, sondern jemand mit Alltagserfahrung aus eurem Zielbereich. Damit erlangt man das Vertrauen der Kunden, denn sie werden schnell merken, daß hier Qualität am Werke ist.
Es lohnt sich, wirklich.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

wenn ich heute nicht bwl prüfung gehabt hätte, dann fänd ich den text richtig gut ; )

L3v3l0rd hat gesagt…

Gerade dann solltest du ihn gut finden!
Da ich auch BWLer bin, stelle ich mit immer mehr erschrecken fest, wie sich Studenten und Lehrende genauso an Zahlen und Statistiken klammern, wie es in der Wirtschaftswelt üblich ist.
Ohne mal nachzudenken, mal alles überzudenken und in Frage zu stellen.
Ich lasse mir meinen gesunden Menschenverstand jedenfalls weder vom statistischen Bundesamt, noch von Basel II verleiten.