27.5.05

Handywahn

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Original Nokia-Gummistiefel

Handies sind doch was Schönes.
Da sitzt man im Zug, versucht ein Ründchen zu schlafen, weil der gestrige Tag irgendwie doch mehr als 24 Stunden hatte. Der Waggon rattert gemächlich vor sich hin, die werten Mitreisenden geben heute auch einmal Ruhe. Die Landschaft zieht am Fenster vorbei, und die Lider senken sich langsam dem Nullpunkt entgegen.
Dann säuselt einem eine bekannte Melodie an die empfindlichen Ohren - das altbekannte Nokia-Werbung-Gedudel. Säuselei ist übrigens schamlos untertrieben, der Angerufene kann nämlich sein Handy nicht gleich finden, und so klingelt es an die acht Mal, mit steigender Pieps-Lautstärke, bis endlich das Gedudel aufhört und eine hektisch sprechende Frauenstimme dafür eintritt. Und dann kann man nicht mal mithören - jetzt, wo man eh schon wach ist - da die Gesprächspartnerin aus dem Osten Europas stammt und der unbedarfte Mitreisende leider kein Polnisch versteht.

Immerhin spricht sie dezent, kommt es einem in den Sinn.
Andere, vorzugsweise beleibte Herren mit Halbglatze, Krawatte und Aktenköfferchen, drehen nämlich ganz gerne im Lauf des Gesprächs die Lautstärke von "ich-bin-wichtig" auf "ihr-habt-alle-zu-hören-was-ich-zu-sagen-habe"-Niveau auf. Solche Geschäftsgespräche dauern dann erfahrungsgemäß zwar nicht sonderlich lange, aber kosten Nerven.

Vielleicht läßt sich da ein Zusammenhang herstellen, kommt einem in den Sinn.
Zwischen dem Verhalten des Angerufenen und dem Handymodell. Irgendwie gibt es nämlich nie einen richtig schönen, polyphonen, harmonischen Klingelton, der einen aus dem Halbdämmer reißt.
Ob nur die Leute, die völlig schamlos in der öffentlichkeit agieren, auch ein nerviges Handy haben?
Man beginnt, die verschiedenen Handymarken verschiedenen Charakterprofilen zuzuordnen.
  • Nokia-Handies sind für Angeber. Die großen, teuren zumindest. Diese
  • winzig kleinen Nokias mit stecknadelkopfgroßen Tasten sind für Girlies im jugendlichen bis frühreifen Alter bestimmt, die mit ihren 2cm-Fingernägeln im Zahnstocher-Stakkato ihre Kurzmitteilungen durch die Gegend jagen. Und ständig die Aura von Hektik und Betriebssamkeit verbreiten - warum dauert das so lang, ich muß zu einem Date!
  • Dann gibt es die silberne Business-Reihe bei Siemens, die gehören alle den jungen, dynamischen, mit gegeltem Haar wichtig im Zug sitzenden Firmeneinsteigern. Seht mal, Leute, ich hab ein Firmenhandy. Ist das nicht toll?
  • Klapphandies! Mit 2-Megapixel-Kamera und Auslöse-Sound. Und integriertem Spiegel im Innendisplay. Gehören den naiven Blondchen im Alter zwischen 15 und 26, die immer ein wenig den Eindruck vermitteln, sie hätten eigentlich viel zu wenig Gepäck dabei. Nur, mehr können sie nicht mehr tragen, ohne drei Gentlemen gleichzeitig zur Hilfe zu bitten... die Kategorie gibts auch im Alter von 12 bis 15, da haben die Handies allerdings noch Bändchen mit irgendwelchem klimpernden Firlefanz dran hängen. Achja, mit dem Handy können sie eigentlich gar nichts, außer SMS klimpern und kichernd Fotos machen.
  • Die Pragmatiker. Uraltes, robustes Handy, angeblich mit allen Grundfunktionen, die man so braucht, und ohne Schnickschnack und Spielereien. Natürlich ein Geheimtip, irrsinnig schwierig zu bekommen, etwas ganz Besonderes eben. Nur für Insider, so ein Handy. Leute mit solch einem Handy sind einfach zu geizig, um sich etwas teureres zu kaufen, und zu eitel, um genau das vor ungläubigen Bekannten ("so einen Klotz schleppst du mit dir rum???") zuzugeben.
Eine richtig schöne, klassische Klischeebildung hat man da vollbracht, kommt einem mit stolzen Blick auf sein geistiges Werk in den Sinn.
Wie sagte doch eine meiner Bekannten, "es geht doch nichts über gepflegte Vorurteile"...

Epilog:
Nachdem ich meine sozialphilosophischen Überlegungen beendet habe, bemerke ich gar nicht, daß meine Augen schon wieder der fleischlichen Trägheit nachgegeben haben. Ich weiß allerdings nur zu genau, daß mein Reiseziel nur noch Minuten entfernt sein kann und kämpfe schwer gegen das wohlige Schlafbedürfnis.
Plötzlich, mitten in meinen inneren Kampf, ertönt ein leises Säuseln, ein polyphonischer, harmonischer Klingelton, die Prelude aus Final Fantasy 7 tönt aus der Nähe.

Bis ich mitbekomme, daß es mein Handy ist, das nach Aufmerksamkeit schreit, hat sich der Klingelton schon merklich lauter geschaltet. Ich wühle hektisch in meinem Rucksack nach dem blöden Ding - natürlich, nach ganz unten ist es mal wieder gerutscht. Schnell halte ich das jetzt mit voller Lautstärke tönende Gerät an mein Ohr und drücke den "Abnehmen"-Knopf. Meine Eltern. Ob ich denn wie geplant in 10 Minuten ankomme, sie könnten etwas länger brauchen. Ich bestätige müde und lege wieder auf.
Als ich das Handy wieder im Rucksack verstaue und mich zum Abmarsch bereit mache, spüre ich förmlich die verärgerten Blicke meiner Mitreisenden im Rücken.

Das Handyverbot in ausgewählten Waggons hat doch irgendwie seinen Zweck, kommt einem in den Sinn.

Prelude aus FinalFantasy VII, handytaugliches Midi

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Hi gOOcy!

Mit deinem Handy-Artikel sprichst du mir aus der Seele! Ewig dieses nervige Gepiepse und Geklingel. Hat eigentlich noch niemand mitbekommen, dass Handys auch eine Lautlos-Einstellung haben???
Meine Theorie ist folgende: Je lauter das Handy klingelt, desto lauter schreit der/die Angerufene nachher ins Telefon...

Gruß,
Bubu