7.8.05

Traumhüter

2. Teil


Sternenlicht


Abgesehen davon, daß sich die zerbrechlichen Gespinste bei Tageslicht so schnell verflüchtigen, ist schade, daß Träume in der westlichen Kultur auch noch eine so lächerlich geringe Bedeutung haben.

Da erlebt man persönlich weltbewegende Situationen, erlangt möglicherweise revolutionäre Erkenntnisse, springt über den eigenen Schatten und tut den ersten Schritt in Richtungen, die man nie gewagt hätte - mit positivem Ergebnis! Und dann, in der harten Realität angelangt, alles nur ein Traum, wirkungslos.

Nur ein Traum. Keinen interessiert das. Niemand, nicht einmal die Freunde im engeren Bekanntenkreis, will wissen, welche dämlichen Glücksphantasien sich das Hirn nachts ausklügelt. Es ist einfach sinnlos zu wissen, irrelevant für weitere Situationen - alles reine Phantasie, allenfalls für einen Lacher gut. Versucht eine hartnäckige Person, in allen Details die schiere Intensität des Traums zu erklären, fängt sie mit wilden Gesten und den blumigsten Beschreibungen an, nur um einen kleinen Eindruck zu vermitteln - kann sie sich glücklich schätzen, zumindest einen interessierten Zuhörer zu haben.

Macht man einer Freundin das Geständnis, man habe von ihr geträumt, erntet man womöglich ein verliebtes Lächeln. Beichte ich das aber meinem unerreichten Schwarm, meiner fiancé in spe, habe ich dabei das drückend unangenehme Gefühl, etwas komplett belangloses zu erzählen - und damit entweder völlig zu langweilen oder mich komplett lächerlich zu machen. Von Mädchen träumt doch jeder - ist doch nichts Besonderes. Allemal ein verlegenes Kichern ("oh, wie peinlich, hoffentlich mußtest du danach wenigstens nicht die Bettwäsche wechseln") oder genervte Blicke sind damit zu ernten.

Ich persönlich - jep, I'm just a dreamer - finde es wirklich jammerschade, daß ein so einzigartiges Erlebnis in der (westlichen) Realwelt so wenig Bedeutung hat. Aber ich werde über meinen Schatten der Schüchternheit springen, und die Probe aufs Exempel machen - und meinem Opfer beichten, daß sie in meinem letzten Traum die Hauptrolle spielte. Mal sehen, was dabei herauskommt - solang es nicht schreibenswert ist, wird es wohl nie jemand zu lesen bekommen :)

In anderen, größtenteils vergangenen Kulturen haben die Träume übrigens einen weitaus höheren Stellenwert.
Nachdem ich in dem Punkt ein wenig recherchiert habe, bin ich ehrlich erstaunt, daß gerade - und nur - der moderne Westen das Thema Traumwelten in seiner Kultur großzügig umschifft. Hier gilt unumschränkt das Prinzip, daß nur das für ernst genommen wird, was klar ersichtlich und jederzeit reproduzierbar ist.
Teilweise muß man übrigens gar keine Jahrtausende in der Geschichte zurückblicken, um Akzeptanz von Träumen zu entdecken - es reicht schon eine Reise um ein Drittel Weltkugel, um in dem Punkt ein anderes Weltbild zu entdecken.
Einige Beispiele für die Bedeutung von Träumen in anderen Kulturen habe ich jetzt gesammelt.


  • Maya: Kontaktmöglichkeit mit den Seelen der Toten

  • Assyrer: Träume sind mehr oder weniger schwer zu deutende Ausblicke in die nähere Zukunft

  • Babylonier: ein eigener, angesehener Beruf des Traumdeuters ("Chaldäer") ist fest in die Gesellschaftsstruktur integriert, wird bis in die Neuzeit weitervererbt

  • Antikes Griechenland: Träume sind Botschaften der Götter, für die Zulieferung ist ein geflügeltes Wesen zuständig.

  • Antikes Christentum: Träume sind direkte Sendungen Gottes, je bedeutender die träumende Person, desto mächtiger die Botschaft

  • Peru: Vor einer bedeutenden Jagd wird auf die traumhaftige Begegnung mit der Seele eines starken, verstorbenen Kriegers gewartet

  • Neuguinea: Traum als sensibler Indikator für Hexereien im Dorf

  • Indien: durch spezielle Riten vorbereitete Gläubige dürfen sich in den Tempel legen und dort im Traum göttliche Botschaften erfahren


Eine beachtliche Sammlung an bedeutungsvollen Riten, Berufen und Nebenbedeutungen hat sich da im Lauf der Jahrtausende angesammelt.
Warum nicht einen kleinen Teil der ehemals hochgeschätzten Thematik in unsere Zeit übernehmen - und einfach ein wenig über die Träume nachdenken?
Schreibt mir eure Erfahrungen mit Träumen!


dritter Teil: Lucid Dreaming

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